Kurhotel „Waldbreitbacher Hof“

Dominiert wird die Straßenszene etwa um 1914 von der imponierenden Fassade des um 1907 erbauten Hotelbaus. Bereits damals schon ein Projekt , dem mitten im Dorf ein wenig günstiges Dasein beschert war. Noch bevor das Projekt, von einem Waldbreitbacher Kaufmann geplant, fertig gestellt war, wurde der Neubau von einem Feuer heimgesucht, welches wohl vom Bauherrn durch Brandstiftung ausgelöst worden war. Der ursprünglich beabsichtigte Termin der Fertigstellung verzögerte sich nun erheblich. Im Jahre 1910 zur Waldbreitbacher Kirmes wird das Haus der Öffentlichkeit vorgestellt. Das bescheidene Dorf war in seinem Zentrum um eine ansehnliche Anlage reicher.

Ausgestattet mit 60 Betten, einem Restaurant und stattlichen Festsaal wurde der Komplex vermutlich auch von den damaligen Sommerfrischlern bewundert. Ein Spirituosen-Großhändler aus der Eifel managte das neue Unternehmen. Konzipiert auf gehobenen Anspruch war dem Betreiber scheinbar kein lohnender Beginn seines Vorhabens vergönnt. Auch die unmittelbar folgenden Bedingungen durch den 1. Weltkrieg waren die Ursache, dass die Erwartungen einer florierenden wirtschaftlichen Nutzung nicht in Erfüllung gingen.

Die Verwirklichung des Projektes war nur dadurch möglich geworden, dass der damalige Pastor der Katholischen Pfarrgemeinde Waldbreitbach die Mitglieder des amtierenden Kirchenvorstandes überzeugt hatte, den im Dorfzentrum liegenden ca. 2000 m² großen Besitz an den interessierten Bauherrn zu verkaufen.

Die Nutzung der Anlage als „Schul- und Wanderheim“ durch einen Kölnern Unternehmer dauerte bis Anfang der 20er Jahre. In dieser Phase wurde das Gebäude durch Erstellung einiger Ladengeschäfte im Erdgeschoß verändert, um eine bessere Ausnutzung entlang der belebten Hauptstraße zu erzielen. Das örtliche Gewerbe machte Gebrauch davon. Zeitzeugen erinnern sich z.B. an ein „Elektro-Geschäft“, an eine „Putzmacherin“, einen „Uhrmacher“ und nach einer Veränderung eine „Bäckerei“ und einen „Friseur-Salon“.

Um 1923/24 übernahm ein Hotelier das Objekt und firmierte als „Kur Hotel Waldbreitbacher Hof“. Die steigende Nachfrage nach Gästebetten ließ auch bei den weiteren örtlichen Herbergen ein bemerkenswertes Wachstum erwarten. Der neue Besitzer integrierte in direkter günstiger Nachbarschaft zur Kirchtreppe ein „Wein- und Tanzlokal“ – man sprach vom „Café Lila“. Die Einrichtung erfreute sich besonderen Zuspruchs bei der jüngeren Generation der Sommergäste. Wen wundert es? Ein 3 oder 4 Mann Orchester sorgte an den Wochenenden für beschwingte Unterhaltung im „Swing Sound“. Die in Gesellschaft betuchter Eltern z.B. aus den Städten des nahen Ruhrgebietes angereisten heranwachsenden Töchter und Jünglinge, dem Modernen aufgeschlossen, fanden Gefallen an der ländlich bescheidenen Kurzweil.

Die Untermalung mit ungewohnten Rhythmen, neuen Klängen mit Klarinette und Saxophon, vielleicht erinnernd an neue Filmmusik, fand man „dufte“. Dazu in brennender Erwartung der heimischen „Jungburschen“, die es kaum erwarten konnten, mit den feschen jungen Damen ein Tänzchen zu riskieren. Das auf dem Bild erkennbare Natursteinpflaster und die offene Straßenrinne bilden einen treffenden Kontrast dazu. Es verrät uns allerdings nicht, was die hiesigen Einwohner, weitestgehend durch Einfluss des Klerus strenggläubig und sittsam erzogen, von der nach ihrem Eindruck zu vermuteten leichteren und verlotterten Lebensart ihrer unbedarften Jugend halten.

Die Belebung im Fremdenverkehr versprach dennoch keine lohnende Steigerung der Wirtschaftlichkeit des Unternehmens, weil der Besitzer 1927/28 über einen Verkauf der gesamten Immobilie spekulierte. Vier Waldbreitbacher Handwerksmeister zeigten ernste Absicht, das Gebäude käuflich zu erwerben. Ihr Interesse war der Abriss der gesamten Anlage, um auf dem in bevorzugter Lage gelegenen Areal ihre eigenen gewerblichen Werkstätten oder Geschäftshäuser zu errichten. Das Vorhaben scheiterte. Die Kreisverwaltung als obere Baubehörde weigerte sich, dem Eigentumswechsel zu diesem Zwecke die Erlaubnis zu geben. Sie begründete ihre ablehnende Entscheidung damit, „einen Abriss der Immobilie nicht genehmigen zu können, da es sich um ein städteprägendes Gebäude im Dorfzentrum handelt“.

Etwa um 1934/35 erwarb ein Gastronom aus Leverkusen den Besitz und führte diesen im ursprünglichen Zweck als Beherbergungsbetrieb weiter. Kurze Zeit später ging so um 1938/39 das Hotel in den Besitz von Antonia Paas über. Die neue Leitung des Hauses profitierte 1941 durch die Vermittlung der Reichsregierung für die Aufnahme eines ungewohnten anderen Gästepotentials. Dies waren Frauen und Kinder einer flämischen Volksgruppe, deren Männer trotz belgischer Staatsangehörigkeit im Dienst der deutsche Wehrmacht waren. Jedoch dauerte diese lukrative Nutzung nur etwa eineinhalb Jahre.

Dann führte die Stadt Bottrop erste Verhandlungen mit der Eigentümerin. Es kam ein Miet- oder Pachtvertrag zustande, um in dem Haus zunächst Waisenkindern eine Bleibe zu geben. Später erweiterte sich der Kreis der jungen Bewohner auf die Beherbergung auch anderer bedürftiger Kinder der Stadt Bottrop. Deren Versorgung, Beaufsichtigung und Betreuung übertrug die Stadtverwaltung Bottrop den Bottroper Vorsehungsschwestern Diese erfüllten die ihnen übertragene Verantwortung länger als 30 Jahre.  (siehe auch Zeitungsartikel)

Vermutlich um 1960 entschloss sich die Stadtverwaltung Bottrop das Haus als Eigentum zu erwerben. Sie renovierte den Bau ständig nach aktuellen Bedürfnissen und verwaltete das Vermögen nach langfristigen Gesichtspunkten. Als die Ordens-Schwestern Anfang der 1980er Jahre aus Nachwuchs-Mangel ihr Engagement beendeten, und auch die Stadt Bottrop keinen Lösungsvorschlag für eine andere sinnvolle Verwendung aufzeigte, erwarb die Gemeinde Waldbreitbach das Areal, um es anschließend einer Frankfurter Immobilien-Gesellschaft weiter zu veräußern.

Nach flüchtiger Renovierung ziehen 1987/88 in das inzwischen bezeichnete „Übergangs-Wohnheim“ ca. 80 bis 100 Übersiedler aus dem Osten ein. Seit 1994, weiterhin im Besitz der Frankfurter Immobilien-Gesellschaft, ist keine Nutzung des Hauses zu registrieren und es ist dem Verfall preisgegeben.

Die Ortsgemeinde Waldbreitbach konnte nach intensiven Bemühungen den Kauf der Immobilie und schließlich im Jahre 2008 den Abriss realisieren. Das nunmehr leere Hanggrundstück unterhalb der Pfarrkirche fiel für fast 10 Jahre in einem Dornröschenschlaf. Im Jahre 2018 erwerben Guido Eulenbach und Viktor Schicker als 3Weiher-Immobilien-Gesellschaft das Grundstück von der Ortsgemeinde und gleichzeitig das Gebäude der Bäckerei Stöbbauer für das Groß-Projekt „Marieneck“ für 20 Wohnungen und 3 Gewerbeeinheiten. Nach Baubeginn im Frühsommer 2019 konnten im Herbst 2020 die ersten Eigentümer/Bewohner einziehen.

Text von Richard Schicker, bearbeitet von Willi Schmitz 2021