All‘ Stund‘ zu blasen, all‘ Winkel des Dorfes zu kontrollieren

Recherche und Text von Richard Schicker

Abbildung beispielhaft:
„Nachtwächter aus Erbach im Odenwald“ von Wilhelm Trübner (1851 – 1917)

Den im Kirchspiel des ‘Amtes Neuerburg zu Waldbreitbach‘ berufenen Nachtwächtern wurden im Zeitraum 1800 bis 1890 im wesentlichen nachstehende Obliegenheiten übertragen.

Bei seinen Kontrollgängen ausgerüstet mit Laterne und Horn hatte der Nachtwächter ‘All Stund ‘an den ihm vorgegebenen Posten im Dorf zu blasen.

Er war gehalten, strenge Acht zu üben auf nächtliche Feld-, Garten – und Obst-Diebereien.

Vorrangig war ihm zur Pflicht gemacht sorgfältig auf Feuer und feuergefährliche Handlungen zu spähen, namentlich bei etwaigem Feuerausbruch Lärm zu blasen, was nicht minder schnell auch bei sonstiger Gefahr drohender Situation gleich zu geschehen habe.

Sowohl Einheimische wie Fremde, wenn diese in der Nacht im Dorfe flanieren, sind anzurufen, über ihre allenfallsige Umstände abzufragen und demnach Verdacht auf ihnen haften sollte, der Orts-Polizey oder Schöffen auf der Stelle vorführen.

Nach 10 Uhr Abends sind ruhestöhrende Nachtschwärmer zu ermahnen und das Trinken und Spielen zur Anzeige zu bringen, wie auch jedweder nächtlicher Unfug zu unterbinden.

Er hat in den Wirtshäuser zur gehörigen Zeit Feierabend zu bieten und darauf zu halten, daß die Gäste sich aus dem Locale entfernen.

Von Michaelis bis Ostern, Abends ab 10 Uhr bis Morgens 4 Uhr und von Ostern bis Michaelis ab Abends 10 Uhr bis 3 Uhr, sind die Kontrollgänge durchzuführen.

Während der Wachzeit hatte der Wächter in seinem Domizil Feuer oder Licht zu brennen.

So oder ähnlich lauteten über viele Jahrzehnte des 19. Jh. die eigens für den Wachdienst beschlossenen Statuten, an welche der mit dem Dienst des Nachtwächters Beauftragte sich zu halten hatte.

In Einzelfällen mußten die verpflichteten Männer vor Antritt ihrer Dienste in der Gemeinde einen Eid ablegen, mit folgendem Wortlaut:

“ Ich, …………von …………………… schwöre zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eyd, daß nachdem ich unterm 8te Februar d. Js. mit der Gemeinde ………………… zur Besorgung der Nachtwache ‚contrahirt‘, mich verbindlich mache, die Pflichten des Contractes genau zu erfüllen–,überhaupt alle nächtlichen Vorfälle, als Diebereien,Ruhestörungen u. d.G. besonders auf das Feuer und Licht ein wachsames Auge zu halten, um jeden Vorfall, was polizeiwidrig ist, der Ortsbehörde anzuzeigen, so wahr mir Gott helfe durch sein heiliges Evangelium.“

Die jeweilige Verpflichtung der für diesen Dienst bestimmten Kandidaten erfolgte zu unterschiedlichen Bedingungen. Während die Dörfer Niederbreitbach und ‚‘Oberbreitbach‘ bereits um 1800, wenn nicht schon früher, den für den Wachdienst berufenen Bürgern ein jeweils für ein Jahr festgesetztes Salär gewährte, das vielfach nach jedem abgelaufenen Quartal an den Bediensteten zur Auszahlung gelangte, praktizierten die übrigen Gemeinden bezw. deren Dörfer den Wachdienst zunächst weniger effektiv. Vielfach wurden sie erst in der Sache tätig, wenn entsprechende Vorfälle Anlass dazu gaben, oder der Landrat durch einschlägige, amtliche Weisung auf das Fehlverhalten aufmerksam machte.

Oberbreitbach konnte zunächst den für die Nachtwache bestimmten Salär aus Mittel der Dorfkasse decken. In dieser Kasse standen Einnahmen zur Verfügung, die als ‘Dorf Revenuen‘ bezeichnet, nur für diverse Zwecke speziell des Oberbreitbacher Dorfes zu verwenden waren. Erst 1827 entschieden sich die Gemd. Schöffen vorübergehend für die Erhebung einer Umlage. Diese jedoch wurde nur von den Haushalten des Dorfes Waldbreitbach erhoben. Jeder Haushalt hatte für die Besoldung des Nachtwächters speziell jährlich 12 Silbergroschen und 6 Pfennig abzuführen. Nach diesem System, man nannte dies auch Erhebung von ‘Kopfgeld‘, handhabte Niederbreitbach seit eh u. je die Bereitstellung diesbezügl. Finanzen, um die zugestandene Vergütung an ihren Nachtwächter zu zahlen. Zur Gesamtdeckung der Entlohnung. z.B. für das Jahr 1811 war eine Summe von 38 Gulden und 49 Kreuzer erforderlich. Hierzu wurden in Niederbreitbach 77 Haushalte des Dorfes zu je 30 und ¼ Kreuzer jährlich veranlagt.

An sich war der Nachtwächter–Lohn keineswegs ausreichend für eine solide Existenzsicherung. Trotzdem bewarben sich 1848 zu Waldbreitbach für die Position 6 Interessenten. Bei der Abwicklung der dazu ausgerufenen Verdingung bewarben sich einige der potentiellen Bewerber gleich 4 mal, andere 3 mal im gleichen Verfahren . Sie rechneten sich daraus eine bessere Chance den Zuschlag für den Posten zu erhalten.

Das Gebot des ‘Wenigstnehmenden‘ lautete in den genannten Falle, jährlich auf 19 Thaler u. 25 Silbergroschen, wogegen der ‘Höchstfordernde‘ 36 Thaler verlangte. Verdungen wurde der Nachtwächter-Dienst üblich durch die Gremien an den ‘Wenigstnehmenden‘. Vorausgesetzt wurde die Eignung, besonders die Verlässlichkeit des Bewerbers.

Noch Mitte des 19.Jh. etwa bis 1858 / 1865 konnten die Einsassen der Gemeinden Rossbach, Breitscheid und Bremscheid sich nicht für das System des Lohnwächters erwärmen. Die genannten Gemeinden, wie auch die Orte, Over und Wolfenacker praktizierten die ‘Seltbstwache‘. Amtlich bezeichnet, hieß dies ‘Frohndienst‘. Es war ein‘Reih um Verfahren‘. Jeder Haushalt-Vorstand oder sein Vertreter hatte den Wachdienst zum zugewiesenen Termin zu verrichten. Oekonomisch gesehen, ersparte sich die Bürgerschaft mit dem ‘ Reih um Verfahren‘ , die zur Kostendeckung erforderlichen Gelder in Form einer Abgabe aufzubringen.

Allerdings konnte man sich diesem zugewiesenen Dienst nicht entziehen . Selbst eine Witwe, zumal wenn sie als vermögend eingestuft war, wie 1862 die Witwe Troll zu Reifert, mußte der Verpflichtung innerhalb der Bürgerschaft nachkommen. Diese, so die Meinung des Waldbreitbacher Bürgermeister in einer Nachricht an den königl. Landrat zu Heddesdorf, könne sich durch einen von ihr beauftragten Bürger, den sie entsprechend entlohnen müsse, in diesem Dienst vertreten lassen .

Doch die 58 jährige Witwe wünschte von dieser Verpflichtung befreit zu werden. Sie legte Beschwerde beim Landrat ein .: “Wenn ich von der Wache nicht frei gesprochen werden kann, so ersuche ich ‘höhere Behörte‘ mich der Gesetzwiederlichkeit zu befreien, daß ich nächtlicherweis‘ auf der Straße herum schwärmen muß.“   Der Landrat jedoch, lies sich nicht erweichen, und war auch nicht in der Lage das vom Waldbreitbacher Amt bereits wegen der Säumnis verordnete Strafgeld von 1 Thaler zu anullieren. Vielmehr lies er dem Roßbacher Ortsvorsteher Scheid durch Bürgermeister König mitteilen, in der Gemeinde doch endlich den Lohn-Wächterdienst einzuführen .

Die Reiferter aber protestieren heftig: “Die unterzeichnenden  Bürger des Dorfes Reifert erklären, daß die Nachtwache wie bisher geschehen, unentgeldlich durch die Betroffenen ausgeführt werden möge. Sie halten dafür, daß sie den Betrag einer Umlage wohl nicht bezahlen könnnen.. Die Bürger-Anzahl des Dorfes ist zu zu klein und es somit den Einzelnen hoch zu stehen kommt, wenn die Nachtwache Verdungen wird.“