Jagdhaus Elsbach – Postkarte aus dem Verlag Hertling Waldbreitbach von 1913
Die Jungs müssen mal raus an die Luft
Text von Thomas Herschbach (2021)
Contessa Carla Raymondi da Finalmarina Genova – ein Name wie ein beschwingter Walzer in prickelnder Champagnerlaune. Würde der Schmelz des Namens gar manchem Leser den Atem stocken lassen, wäre trefflich eine Ironie des Schicksals anzuführen. Schließlich dreht sich die nachfolgende Geschichte rund um den Luftkurort Waldbreitbach.
Bekanntlich weiß die Frau von Welt zu goutieren, wenn ihr Nettes widerfährt. Etwa ungeteilte Aufmerksamkeit. Eben jene wird der Dame aus italienischem Adelshaus durch eine postalische Grußadresse aus dem Herzen des Wiedtals gewidmet.
Man schreibt den März 1913. In England sprengen britische Suffragetten das im Bau befindliche Landhaus von Schatzkanzler David Lloyd George in die Luft, um ihrer Forderung nach einem Wahlrecht für Frauen Nachdruck zu verleihen. Im italienischen Finalmarina bei Genua wird der bereits angeführten Gräfin Carla Raymondi eine forderungsfreie Postkarte mit intaktem Jagdhaus in luftiger Lage zugestellt. Rund um die Eremitage im Grünen finden sich drei Herren in zünftiger Montur samt Hund drapiert. Die schmucke Waidmanns-Herberge steht oberhalb von Elsbach.
Nun zählt das Wiedtal bekanntlich zum Westerwald und dort bläst zu Anfang eines Jahres auch auf halber Höhe der Wind so kalt. Das bekommt der Postkartenschreiber zu spüren: „Kalt, 6 Grad“, heißt es zu Beginn militärisch kühl und knapp – die zitternden Hände sind förmlich zu greifen. Im Telegrammstil vollendet der offenkundig eher von mediterranem Klima oder gut geheizten Stuben verwöhnte Urlauber denn auch seine Postkarte: „Herzliche Grüße aus dem Jagdhaus meines Schwagers im Westerwald sendet …“ Ja wer? Des Rätsels Lösung verbirgt sich hinter Hieroglyphen.
Durchaus bekannt wie das Westerwaldlied ist hingegen Karl Hofmann. Der Dorfpolizist mit Sinn für Lokalgeschichte hat in seiner Abhandlung „Vom Malbergskopf zum Roßbacher Häubchen“ die Geschichte von Schloss Walburg thematisiert. Das verwunschene Kleinod war zwischen 1903 und 1905 von einem gewissen Bartholomäus Rosbach aus dem niederrheinischen Waldniel erbaut worden. In seiner Heimat am Hariksee hatte dieser ehemalige Besitzer von Haus Clee in Waldniel zum Ende des 19. Jahrhunderts bereits das Inselschlösschen am Hariksee errichten lassen. Definiert als kleine Villa für Jagdvergnügungen, Feste und … Liebesabenteuer.
Ob Schloss Walburg ähnlichen Maßgaben entsprach, bleibt dahingestellt. Unstrittig ist, dass von dem schmucken Landsitz aus Sichtverbindung „durch das Elsbachtal zum ‚Alten Jagdhaus‘, gelegen oberhalb des Dorfes Elsbach und des Hofgutes Fichtelhohn, bestand“, wie der Hofmanns Karl zu erzählen weiß.
Das Jagdhaus hatten der Kaufmann Wilhelm Schultheiß aus der gleichnamigen Weißenthurmer Brauerdynastie und ein Krefelder Geschäftsmann namens Voss, Vorname vom Winde verweht, angepachtet. Der Erbauer der Walburg stand über seinen Vater wiederum mit der Schloßbrauerei Waldniel in Kontakt. Bier schweißt zusammen.
Zwei Brauereien, ein Ort – „es ist zu vermuten, dass Rosbach durch die Verbindung beider Brauereien im Wiedtal Fuß fasste“, kombiniert der schriftstellernde Polizist. Da wäre Rosbach sozusagen aus einer Bierlaune heraus auf den Geschmack der Gegend gekommen. Und was Mann am Fluss und in den Wäldern so anstellt, wusste auch schon Ernest Hemingway: jagen.
Wie sich das Freiwild frisch auf Pirsch so ausgestaltete, ist nicht überliefert, die Art der Kontaktpflege hingegen schon: Im Stil der Seeleute auf den sieben Meeren signalisierten sich die Waidmänner per Fähndelschwenken, was es so alles mitzuteilen gab. Die Vorläufer von WhatsApp, Signal & Co. dienten der Absprache zur Jagd, aber auch dem unverbindlichen Austausch von Neuigkeiten. Anders formuliert: Über des Forstes Höhen hatten sich die Herren Jäger durchaus Klatsch und Tratsch auf die Fahnen geschrieben.
Dass dabei alles mit rechten Dingen zuging, war das Verdienst von Franz Paganetti – seines Zeichens ständiger Jagdaufseher des Kaufmanns Schultheiß. Bis zum Jahr 1928 wohnte Paganetti mit seiner Familie im Jagdhaus.
Ungelöst bleibt die Frage des Absenders der Karte aus dem Waldbreitbacher Verlag Hertling. Fröhlicher Spekulation sind Tür und Tor geöffnet: Handelt es sich bei den abgelichteten Jagdfreunden vor dem Häusle möglicherweise um die eben zuvor erwähnten Herren Schultheiß, Voss und Rosbach oder einen von ihnen? Oder ist Franz Paganetti im Bilde? In welchem Verhältnis stand der Schreiberling zur Dame von Adel? Halten wir es mit Marcel Reich-Ranicki und Berthold Brecht: „Und so sehen wir betroffen / Den Vorhang zu und alle Fragen offen“.
Jagdhaus Elsbach früher und heute
Rückseite der Postkarte und zwei Ausschnitte von der Vorderseite